Notensatzprogramme sind für uns Komponisten, Arrangeure und Lehrer zu einem notwendigen Übel geworden. Eigentlich dafür gedacht, uns viel Arbeit abzunehmen verfehlen sie oft ihr Ziel und bereiten uns Probleme, von denen wir oft vorher nicht wussten dass es sie gibt.
So auch seinerzeit das (damals) grässliche Capella von WHC, das beispielsweise alle paar Minuten die lästige Angewohnheit hatte abzustürzen. Als ich mit dem Notensatz am Computer anfing, gewöhnte ich mir so zwangsläufig an nach jeder noch so kleinen Eingabe “Strg+S” zu drücken. Diese Angewohnheit habe ich bis heute nicht abgelegt..
Dann kam ein Mac ins Haus, und Capella lief nicht mehr. Ich nutzte die Gelegenheit, um die “großen” Notensatzprogramme zu testen. Rasch entschied ich mich für Sibelius, welchem ich viele Versionen lang treu blieb (ich stieg bei Version 4 ein). Es war eine riesige Erleichterung gegenüber Capella; nicht auch zuletzt dadurch, dass es kaum abstürzte. Neben der überlegenen Bedienung und der schier endlosen Möglichkeiten begeisterte mich die tolle Klangwiedergabe.
Ein Sprung vorwärts, heute ist Version 7.5.2 erhältlich. Die Firma wurde inzwischen von Avid kekauft (u.a. ProTools), die ursprünglichen Entwickler entlassen, das Interface mit Version 7 komplett umgekrempelt (so etwas muss nicht zwangsläufig eine positive Entwicklung sein) und die Trägheit des Programms erfolgreich gesteigert bzw. vervielfacht. Tolle Idee, so bekommt man vor einem derartig bedeutendem Programm ungleich mehr mehr Respekt.
Kurz: Sibelius ist den Weg eines jeden großen Programms gegangen, das über Jahre auf Biegen und Brechen kontinuierlich “weiterentwickelt” wird (siehe Nero, Toast). Die Samples sind mittlerweile etwa 40GB groß und klingen teils schlechter als die der Version 5 (die Streicher sind grässlich). Als dann Gerüchte aufkamen, Sibelius würde mit Version 7 enden (sie ist seit 2011 am Markt!) entschloss ich mich, mich nach Alternativen umzusehen.
So stieß ich vor zwei Jahren auf Notion. Das kompakte Programm mit dem modernen, aufgeräumten Interface sagte mir recht schnell zu. Der Preis von etwa 100€ ebenfalls.
Ich möchte es kurz machen und zum springenden Punkt kommen:
Die aktuelle Version 5 bietet eine solide Arbeitsgrundlage. Der Workflow ist unvergleichbar einfach und die Werkzeugleiste im unteren Drittel eindeutig für moderne Breitbildschirme ausgelegt. Die Menüpunkte sind kontext-sensitiv angelegt, man sieht nur Bearbeitungsoptionen, die gerade Sinn machen (arbeitet man in einer Klavierstimme, werden im “Tech.” Menü Pedal usw. agezeigt, bei Violinen dagegen Pizz., con sordino usw..). Was für eine großartige Idee, das Menü zu entschlacken!
Grafische Elemente wie Bindebögen, Piano- und Fortezeichen werden gesetzt und sehen an der automatisch festgelegtem Position einfach gut aus. Im Gegensatz zur Konkurrenz muss hier sehr viel weniger nachbearbeitet werden. Und gerade diese Arbeit wird bekanntermaßen ja sehr schnell monoton. Der für mich größte Pluspunkt ist allerdings momentan die Wiedergabe. Ein realistischeres gesampletes Orchester habe ich im Zuge einer “Standard-Library” noch nicht gehört. Mein aktuelles Orchesterprojekt habe ich von Sibelius 7 über MusicXML nach Notion 5 exportiert, wo ich nun daran arbeite. Die Klänge bieten einen realistischen Klang mit dem entsprechenden Raum eines großen Konzertsaals, ohne die Stimmen zu sehr zu verwaschen. Gerade perkussive Elemente wie das Bartòk-Pizzicato aber auch das gesamte Schlagwerk klingen knackig und frisch.
Leider stieß ich sehr schnell auch an die Grenzen des Programms. Wenn beispielsweise die Automatik bei grafischen Elementen (speziell Bindebögen) versagt, ist man verloren. Bestenfalls kann man den Bogen invertieren, keinesfalls dagegen nachbearbeiten. Man ist also sehr rasch rat- und hilflos, wenn wenn mal ein Element nicht perfekt sitzt. Ein gravierender Mangel.
Auch die Kopiermöglichkeiten sind arg eingeschränkt, Funktionen für das Erstellen eines Spiegels oder Krebses vermisse ich bei der Arbeit.
Schlussendlich stößt auch die Sample-Library an ihre Grenzen. So klingen kammermusikale Solostreicher teils eher nach kaputten Blechbläsern als nach Streichinstrumenten. Werde ich meine Arbeit am Orchesterprojekt dennoch in Notion fortsetzen?
Ja!! Denn als ich das Projekt zurück nach Sibelius importierte und Play drückte, war ich erstmal fassungslos. Die Wiedergabe war in Realismus und Klangbalance derartig schlecht, dass ich es keine zehn Sekunden aushielt. Dementsprechend habe ich mich dazu entschieden, das Stück in Notion zu komponieren und in Sibelius zu setzen, wo sich die enstprechenden Möglichkeiten der grafischen Aufbereitung finden.
Abschließend möchte ich den Blog von Daniel Spreadbury erwähnen, der von der Entstehung eines gänzlich neuen Notensatzprogramms berichtet. Das ehemalige Sibelius-Team wurde nach dem Rauswurf bei Avid nämlich von Steinberg engagiert und arbeitet hier nun einem neuen Programm. Man darf gespannt sein.