BOULEZ IST TOT!
Am 5. Jänner 2016 verstarb der berühmte französische Komponist, Dirigent und Musiktheoretiker Pierre
Boulez im Alter von 90 Jahre in Baden-Baden.
Seitdem überhäufen sich die Medien mit Nachrufen und Artikeln. Als „Motor der Moderne“ oder „Vehementer Verfechter der Neuen Musik“ wird der Komponist heute beschrieben, in einer Pressemitteilung der Pariser Philharmonie würdigte seine Familie seine “kreative Energie”, seinen “künstlerischen Anspruch” und seine “Großzügigkeit”.
Boulez, heute vor allem bekannt durch seine Einspielungen des Repertoires der klassischen Moderne aber auch der Romantik, studierte einst bei Olivier Messiaen. Eben jener Boulez, der mit „Parsifal“ in den 60er Jahren nach Bayreuth kam war es, der von seinem früheren Lehrer als „gehäuteter Löwe“ beschrieben wurde. „Er war schrecklich!“, so Messiaen (The Rest Is Noise, S.400ff).
Als sein zweiter Kompositionslehrer R. Leibowitz ihn in seiner ersten Klaviersonate auf einen methodischen Fehler hinwies lief er gar mit den Worten „Vous êtes merde!“ hinaus, später stach er auf die Widmung (Leibowitz’ Name) mit einem Brieföffner ein.
Und ja, die Beschreibung Messiaens trifft durchaus zu. Denn genau jene Musik, mit der sich Boulez ab den 60ern seinen Lebensunterhalt verdiente war es, der er 20 Jahre früher mit größter Verachtung gegenübertrat.
So kam es, dass im Frühjahr 1945 während einer Aufführung von „Four Norwegian Moods“ (I.Stravinsky) eine Gruppe von Randalierern (alle Konservatoriumsstudenten) diese mit Buhrufen, Zwischenrufen, Pfiffen und Hammerschlägen störten. Boulez war einer davon.
Die Vorfälle wiederholten sich bei einer Aufführung der „Danses concertantes“ (I.Stravinsky). Dennoch dirigierte Boulez Stravinskys Werke ab den 60ern.
Als im Sommer 1951 der Österreich-Amerikanische Komponist und Vorreiter der Avantgarde Arnold Schönberg starb, verfasste Boulez einen Nachruf mit den Worten: „Der ‚Fall’ Schoenberg ist vor allem irritierend“. Er habe einen „…höchst aufdringlichen und überholten Romantizismus an den Tag gelegt. Nun wäre es an der Zeit, dass die Schachfiguren neu aufgestellt werden, die Situation gerade gerückt würde. … Daher zögere ich nicht zu sagen, ohne den Wunsch, einen einfältigen Skandal zu provozieren, aber auch ohne schamhafte Heuchelei und nutzlose Melancholie: SCHOENBERG IST TOT“. Dennoch dirigierte Boulez Schönbergs Werke ab den 60ern.
Sein berühmtes Zitat aus dem Jahre 1967, das da lautet „Sprengt die Opernhäuser in die Luft“ könnte reißerischer und provokativer nicht sein. Es ist schon erstaunlich, wie heute gewaltsam versucht wird die Aussage in das „richtige“ Licht zu rücken. „’Sprengt die Opernhäuser in die Luft’ – Ein missverstandenes Schlagwort“ – wie bitte sollte man diesen Satz missverstehen?
Einen ähnlich kritischen Nachruf, wie Boulez ihn über Schönberg verfasste, findet man bei den heutigen „gemäßigten“ und „aufgeschlossenen“ Musikkritikern und Fachleuten natürlich nicht. Da wird verklärt und unter den Teppich gekehrt, so viel Sand gibt’s in keiner Wüste dieser Welt.
Trotz allem können wir Musikliebhaber abschließend erleichtert sagen: BOULEZ IST TOT. Und mit ihm starb der letzte Dinosaurier der Avantgardistischen Bewegung. Lassen wir die Avantgarde dort wo sie hingehört (in die 50er Jahre) und besinnen wir wieder darauf, Musik zu machen.