Foto: (C) Universität für Musik und darstellende Kunst Graz, Institut Oberschützen
Foto: (C) Universität für Musik und darstellende Kunst Graz, Institut Oberschützen

Gestern durfte ich zum ersten Mal einem Konzert des Universitätorchesters Oberschützen beiwohnen. Am Programm standen die dritte Orchestersuite von J.S.Bach in D-Dur, BWV 1068, Phonurgia des venezianischen Komponisten Claudio Ambrosini (Uraufführung) und Le Sacre Du Printemps von Igor Stravinsky.

Feierlich eröffnete Bachs Ouverture unter der Leitung von Martin Kerschbaum das Konzert. Obwohl meisterhaft gespielt, konnte die Interpretation nicht so recht überzeugen. Zwar waren die Stimmen meist schön ausgearbeitet, das Orchester um eine wunderbar balancierte Gestaltung bemüht. Was allerdings fehlte war der Schwung eines eröffnenden ersten Satzes. Insgesamt war es einfach zu „brav“ musiziert. Zu wenig Dynamik, zu wenig Rhetorik.

 

Der zweite Satz („Air“) änderte dies schlagartig. Bereits während des ersten Taktes stand fest, so hat dieser oft gespielte Satz zu klingen. So und nicht anders. Sanft lag hier das Thema in den Geigen, das ja über so derartig lange Bögen erstreckt. Zu gegebener Zeit wussten diese auch dem Kontrapunkt der anderen Streicher seinen Platz einzuräumen. Doch was mich persönlich am meisten fesselte: Die Streicher kamen so ganz ohne Vibrato aus. Herrlich, dieser durchsichtige, transparente, schlanke und doch warme Ton, der hier die Musik machte.
Die restlichen Sätze waren danach glücklicherweise lebendiger interpretiert worden, und die Ausführung der Suite konnte abschließend doch noch überzeugen.

 

Umbau, Aufstockung des Orchesterapparats. An die Stelle des Cembalos kommt nun eine Harfe. Und noch einige andere Instrumente. Über den Komponisten Claudio Ambrosini, der das Werk an diesem Abend auch dirigierte, wusste ich bislang gar nichts was mich dazu veranlasste dem Stück wertfrei entgegenzutreten.

Die Pianistin steht am Klavier. Gleich geht es los. Moment, steht? Ja. Vermutlich wird sie ein paar Klangeffekte beisteuern. Ambrosini gibt seinen Einsatz. Kein Ton erklingt.

Was folgt, sind 15 Minuten einer Aneinanderreihung von Geräuschen, die technisch im Orchester realisierbar sind. Hier ein bisschen Geheule, da ein Scheppern. Dann wieder etwas mehr Durcheinander; es folgt eine Ausdünnung. Schlagwerker imitieren Windgeräusche. Dazu ein fuchtelnder Dirigent.

Die Harfenistin macht auch irgendetwas. Lässt ihre Spachtel fallen, oder was auch immer es ist, mit dem sie ihr Instrument malträtiert. Der Aufprall erzeugt etwas, das entfernt einem Ton ähnelt. Ungewollt, aber immerhin.

Bereits nach wenigen Takten (bzw. Sekunden, das Vorhandensein von Takten stelle ich ob der völligen Abwesenheit eines Rhythmus in Frage) wurde ich mir der Unerträglichkeit des (Un)Werks bewusst.

Und dann geschah etwas, das mir die nächste Viertelstunde rettete: Gleich zu Beginn gelang es einem Besucher (vermutlich einem Musikliebhaber!) nicht, sein Lachen zu unterdrücken. Zahlreiche andere Personen schlossen sich unfreiwillig an.

Wie könnte man als fühlendes Wesen denn auch anders reagieren, imitierten die Geräusche schon bald einen überaus gut funktionierenden Verdauungsapparat, der nach einer herzhaften, wohlschmeckenden aber leider allzu überaus optimistisch angesetzten russischen Hauptmahlzeit zu Höchstleistungen anläuft.

 

Nach einer guten Viertelstunde war der Spuk dann zu Ende, und das Konzert konnte weitergehen. Apropos Zeit: Mir kam die Dauer des Stücks wesentlich länger vor. Eine Studentin zu meiner rechten Seite meinte allerdings, es kam ihr wesentlich kürzer vor. Die Zeit vergeht nun mal sehr schnell, wenn man sich amüsiert. Zeit ist eben relativ, q.e.d.

„Why not?“ fragte mich eine weitere Studentin in meiner Nähe bei einer anschließenden Diskussion des Werks.
„Because it sucks. In every possible way.“

 

Igor Stravinsky
Igor Stravinsky

Anschließend folgte eine fabelhafte Aufführung des Werks „Le Sacre Du Printemps“ von Igor Stravinsky. Anfangs erschienen mir sämtliche ruhigen und langsamen Stellen des ersten Teils zu langsam gespielt, allen voran das eröffnende Fagott-Solo.
Auch kamen nicht alle Einsätze präzise zur richtigen Zeit. Dennoch muss man festhalten dass es sich um eines der anspruchsvollsten Werke des Orchester-Repertoires handelt, und dieses hier von einem Studenten-Orchester mit Studenten unterschiedlichster Orchestererfahrung aufgeführt wurde.

 

Was dieses Orchester unter Berücksichtigung aller Tatsachen an diesem Abend leistete war unglaublich. Die Musikalität konnte zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt werden. Und noch während der zweiten Hälfte des ersten Teils begannen die Studenten freier zu musizieren, die Unsicherheiten bezüglich der Einsätze waren wie weggeblasen.

Schlussendlich handelte es sich um eine durchaus überzeugende und mitreißende Aufführung des einst so kontrovers betrachteten Werks.

 

Apropos kontrovers. Eigentlich sollte uns genau dies zum Nachdenken anregen.

Vor mittlerweile über hundert Jahren endete die Uraufführung von „Sacre“ in einem Skandal. Bereits zu Beginn erntete das Fagott-Solo Gelächter, im weiteren Verlauf des Abends musste gar die Polizei einschreiten welche versuchte, Herr der Lage zu werden. Heute erfreuen wir uns an der Aufführung desselben Werkes, das einst nur Spott und Hohn erntete.

Andererseits: Abscheuliche Geräuschkaskaden werden stoisch geduldet, nur selten lässt das Publikum einen Hauch seines wahren Urteils durchschimmern. Man möchte ja nicht als wenig intellektuell gelten.